Dienen
Predigt von Br. Hubert Weiler
Dienen – das ist ein Reizwort. „Anderen den Dackel machen?“ Ich merke: das liegt nicht in meiner Natur. Einerseits ist es natürlich normal und richtig, dass man sich nicht für andere aufreibt und auch an sich selbst denkt. Aber es kann auf der anderen Seite auch schädlich werden – für die Mitmenschen: in Ehen dass ein Teil in Konfliktfällen immer den Kürzeren zieht, im Betrieb dass Mitarbeiter unter dem Vorgesetzten leiden, und auch in Gemeinden dass es immer nach dem Willen einer oder weniger Personen gehen muss – Kontrollzwang, Machtmensch … Begriffe, die man kennt. Schädlich – auch für mich selbst.
Ich verliere die Freiheit, drehe mich immer mehr um mich selbst. Der Gründer des Lebenszentrums, Pfarrer Dr. Otto Riecker (1896 – 1989) sprach vom ‚dicken Ich‘, das unser Leben bestimmen will, uns in Isolation und Einsamkeit führen kann – und das andere beschwert, unterdrückt, vor den Kopf stößt. Unser 500-Jahre-Jubilar Martin Luther drückte es sogar so aus: „Der sündige Mensch ist ein in sich gekrümmtes Wesen, das sich der göttlichen Gnade verschließt, auf die es doch angewiesen ist. Unsere Natur ist durch die Schuld der ersten Sünde so tief in sich selbst verkrümmt, dass sie nicht nur die besten Gaben Gottes an sich reißt und genießt, sondern das auch nicht einmal merkt, dass sie gottwidrig, verkrümmt und verkehrt alles, nur um ihrer selbst willen sucht."
Das tiefer liegende Problem
Das alles weist auf ein tiefer liegendes Problem hin: grundsätzlich die Kontrolle und das Sagen haben und sich bedienen lassen zu wollen, die Angst unterzugehen, den Kürzeren zu ziehen, vor Menschen schlecht dazustehen. Das deutet auf die ‚Mutter aller Ängste‘ hin: die Verlustangst. Wenn ich keine Kontrolle über andere habe, auch über Abläufe, habe ich Angst, unterzugehen, Einfluss oder meine Position zu verlieren. Im schlimmeren Fall eine echte Existenzangst. Seine Jünger hatten offensichtlich auch ein Problem damit, nicht dienen zu wollen, als sie stritten, wer unter ihnen der Größte sei (Luk. 22, 24). „Der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste und der Vornehmste wie ein Diener“, (V. 26) war die Reaktion Jesu. Ihr sollt euch auch untereinander die Füße waschen (Johannes, 13,14). Die Realität war anders: Da war Petrus mit seiner Ich-Bestimmtheit: „Das Kreuz geschehe dir nur nicht, Herr …!“ (Matth. 16, 22), widersprach er Jesus. Die anderen mit ihrer Hitzigkeit, als eine Stadt die Jüngergruppe abwies: „Lass Feuer vom Himmel fallen!“ (Luk. 9, 54) So sind wir in guter Gesellschaft, wenn wir in unserem Leben den Drang spüren, der ‚Größte‘ zu sein, Macht auszuüben, den eigenen Kopf durchzusetzen, sich gerne ‚bedienen‘ zu lassen, Kontrolle über andere oder sogar die Macht über andere zu haben. Wir wollen anderen eher „den Kopf waschen“ als die Füße.
Was tut Jesus?
Dahinein – und auch in unser Leben – spricht Jesus. Genauer gesagt zeigt Jesus mit einer symbolischen Handlung, der Fußwaschung, den gottgewollten Weg, den inneren Weg der richtigen Programmierung unseres Herzens – das Dienen! Er nimmt uns unsere Art nicht gewaltsam weg … bricht nicht ein in unser Denken und Tun, sondern er ‚lockt‘ uns zu einem neuen Lebensstil, zu einer neuen inneren Programmierung. Er sieht die Not, die ich anderen und mir selbst bereite, und er will mich frei machen, für andere, für mich selbst, frei …. für den Dienst! So ist der folgende Text aus dem Johannesevangelium ein seelsorgerliches Locken in ein neues Denken, einen neuen Lebensstil. Jesus gibt uns eine neue persönliche Werteordnung. Das verdeutlicht er durch eine symbolische Handlung. Wir befinden uns in einem großen Raum in Jerusalem am Vorabend der Kreuzigung Jesu, nach dem letzten gemeinsamen Abendmahl.
Johannes 13, 1 – 17: 1 Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende. 2 Und beim Abendessen, als schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten, 3 Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging, 4 da stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich. 5 Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war. 6 Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen? 7 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren. 8 Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir. 9 Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt! 10 Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. ….Und ihr seid rein, aber nicht alle. 11 Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein. 12 Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe? 13 Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin‘s auch. 14 Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. 15 Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe. 16 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr und der Apostel nicht größer als der, der ihn gesandt hat. 17 Wenn ihr dies wisst – selig seid ihr, wenn ihr‘s tut.
Was Dienen bedeutet…
Jesus ist sich für die niedrigste Sklavenarbeit, den Gästen die total verdreckten Füße zu waschen, nicht zu schade. Das alles geschieht aber nicht erzwungen, sondern freiwillig: Er spricht bei seinem Kommen in die Welt: … Ich komme, zu tun, Gott, deinen Willen (Hebräer 10, 5.9). Nicht unterworfen, sondern in Hoheit und Würde: er hielt seine Gottheit nicht wie eine Räuberbeute fest, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an (Philipper 2, 7). Nicht als Beherrscher, sondern als Diener: Ich bin gekommen, um zu dienen (Matthäus 20, 28). Jesus scheute nicht den untersten Weg, durch den Staub zu kriechen, wie das griechische Wort für Dienen wörtlich übersetzt heißt. Wir wollen von Jesus lernen, was ‚dienen‘ für uns und unser Christenleben bedeutet: Unsere Motivation: Dankbarkeit Dankbarkeit, dass Gott uns in Jesus alles schenkt (vgl. Römer 8, 32). Alles, das heißt, am Kreuz von Golgatha hat Jesus die Trennung des Menschen von Gott durchbrochen. Dort hat er unsere Sünden getragen, damit wir frei sein können, wenn wir unsere Sünden bekennen (1. Johannes 1, 9). Auch Petrus wusste um seine Schuld, als er in dieser Situation sagte: „Herr, solltest du mir die Füße waschen?“ Alles, das heißt, Jesus hat uns die Lebensverbindung mit sich selbst geschenkt.
Dienen heißt, eine neue Fragestellung bekommen
Aus dem festen Stand in Jesus kommt die neue Fragestellung. Nicht: Wo komme ich am Besten weg?, … sondern: Wie erleichtert mein Verhalten einem Nichtchristen den Zugang zum Glauben? Was dient anderen Christen zur Ermutigung, zum Trost? Das nennt man Dienermentalität. Dienen ist auch ein Bestandteil der Anliegen unserer Kommunität, das wir so formuliert haben: Gott ehren, Gemeinschaft leben, den Menschen dienen. Wir wollen ein weites Herz für die Menschen haben, die in unser Haus kommt, damit sie sich wohl fühlen. Wir wollen auf sie eingehen, ihnen einen angenehmen Aufenthalt ermöglichen. Wir wollen ihnen seelsorgerlich dienen, das Wort Gottes unverfälscht weitergeben, im Lebenszentrum und bei Gemeindeeinsätzen. Wir werden im Dienst auch schuldig und wir müssen als ‚unperfekte‘ Christen leben. Aber wir haben eine wunderbare Botschaft: Wir können fallen, aber wir stehen wieder auf. Denn wir wissen, dass Jesus für unsere Sünden, für unser Versagen, für unsere Unterlassungen – in Gedanken, Worten und Werken – gestorben und auferstanden ist. So meint unsere Textstelle (Vers 10) für Christen: wer gewaschen ist, dem müssen nur noch die Füße gewaschen werden, der braucht selbst Vergebung und Reinigung, aber das Leben als Christ ist dadurch nicht angetastet. Vertrauen: ich werde nicht zu kurz kommen. Dienen kann auch zu einer falschen Selbstaufgabe führen, überall helfen zu wollen, helfen zu sollen. Das kann zu einem Helfersyndrom, Helferkomplex werden. Wir brauchen uns nicht aufzureiben im Dienst. Das kann unnötig ermüdend sein. Wir brauchen auch Pausen und Beratung. Hören auf Gott – und auf Menschen Auf Gott hören: Herr, zeige mir, wo und wie mein Dienen gefordert ist. Oft die kleinen Dinge des Alltags: mit einem Anruf, einer E-Mail, einem Gruß, einem Lächeln kann ich Menschen dienen. Ein kleiner Dienst kann sehr hilfreich sein. Auf Menschen hören: korrekturbereit sein. Sie können mir helfen und raten, wo mein Einsatz nötig ist und wo ich auch andere machen lassen kann. Mit ‚Dienermut‘ ans Werk In dem althochdeutschen Wort diomuti – für Demut – klingt es an: Es braucht Mut zum Dienen, Demut! Für die Hilfsdienste, für das ‚Füße waschen‘, die Toiletten putzen, den Kindern zum 100 x erklären, wie man einen Dreisatz rechnet, u.v.a. Aber es braucht auch Demut, zu leiten, Verantwortung zu tragen in der Gemeinde, im Betrieb. Es ist auch ein Zeichen von Demut, wenn man solche Verantwortung nicht abschiebt, wenn sie angetragen wurde. Es geht um die innere Haltung, wie es der Apostel Petrus in seinem 1. Brief, Kapitel 5, 2f Leitern der christlichen Gemeinde schreibt: „Weidet die Herde Gottes, die euch befohlen ist, nach Gottes Willen, nicht gezwungen, sondern willig, … von Herzensgrund, … als Vorbilder.“ Mit einem Wort: als Diener!
Hier bin ich Herr, zeige du mir, wem ich heute dienen kann, Amen.