05.08.2022
Schau mich an
Ich habe viel mit Menschen aller Altersklassen zu tun. Sei es mit jungen Erwachsenen im Theologischen Seminar, der Kommunität Adelshofen, in der ich lebe, oder im Arbeitsumfeld, im Pflegeheim als Betreuungskraft im Nachbarort. Wenn ich in all dem auf mich persönlich schaue, frage ich mich manchmal: was macht mich oder andere eigentlich entspannt, zufrieden und im besten Sinne „lebenslustig“, dass man positiv gestimmt und freudig durch den Tag geht?
Ich brauche den Eindruck, etwas Sinnvolles zu tun. Für mich bedeutet es, eine Aufgabe zu haben, die ich gut er- und ausfüllen kann. Dinge, die mir leicht von der Hand gehen und mir Freude machen. Ich den Eindruck von Selbstwirksamkeit habe, frei nach dem Motto: „Das kann ich, und darum fühl ich mich wichtig in dieser Welt und will mich damit auch ganz einbringen.“ Wenn ich so empfinde, erkenne ich: Es geht was voran und ich fühle mich bestätigt und somit im guten Sinne bedeutend und wertvoll.
Doch, nicht immer flutscht es im Leben. Was macht es dann mit uns, den Empfindungen und dem Selbstwertgefühl, wenn es sich durch schwierige Umstände nicht stabil entwickelte? Und das ist ja nur ein Bereich, wo wir im Inneren wanken und in persönliche Zweifel und Ängste geraten können. Menschen begegnen uns launisch oder kritisieren uns, vielleicht sogar vor anderen? Da kann das emotionale Thermometer schon mal ganz schön hoch und runter sausen, oder?
Ich fühle mich vielleicht ganz klein, im Extremfall sogar plötzlich wertlos und nutzlos, wie schon in der Kindheit. Alte Ängste und Gefühle suchen sich Bahn und werden wach. Gefühle, die mich durch schwierige Umstände und vielleicht überforderte Eltern das Empfinden von Einsamkeit und Verlassenheit durchleben ließen und Gedanken nährten, nicht bedeutsam zu sein. Unangenehme Gedanken und Gefühle aus der Vergangenheit, die sich urplötzlich einen Weg in das Heute bahnen und stark verunsichern.
Was hilft, wenn es so an den inneren Fundamenten ruckelt, egal, wodurch es ausgelöst wird? Mir half und hilft das Rufen zu Gott. Ich wandte mich an ihn und flehte: „Was mache ich nur, oh, Gott? Du stellst dich mir als Vater vor. Du machst mir Mut - Du hilfst mir auf.“ Ich besinne mich, atme tief ein - und finde Ruhe. Nach einer Weile kann ich sagen: „Danke, mein Vater. Du nimmst mich an, wenn ich mich auch gerade selbst nicht leiden kann, sogar manchmal mit mir „fremdle“. Du bist ein Gott, der zu mir steht. Du bist der, der mich ansieht, wie damals Hagar, die Magd der Sarah, verjagt in die Wüste. Du bist der, der spricht: „Wertvoll bist du in meinen Augen. Steh auf und schau mich an, nimm meine Hand, wir gehen zusammen.“
Schau mich an und nicht mehr auf dich. Schau mich an, dann zerbrichst du nicht, wie die Not auch heißt. Ich erinnere mich an das Wort, mit dem Gott mich schon oft getröstet hat: „Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetzte dich nicht, denn ich bin mit dir.“ (Josua 1,9) Das will ich nicht vergessen. Und Sie, bitte, vergessen Sie das auch nicht, egal, was an ihren Fundamenten rüttelt und sie manchmal aus der Fassung bringen und Furcht einflößen will. Denn es gilt uns beiden, uns allen.