Was uns Gott versprochen hat
Aufgeblüht ist klasse, meint Sr. Dora Schwarzbeck, aber sie meint auch, dass es sich irgendwann mal ausgeblüht hat. Und so sehr sie die Pracht und Schönheit frischer Blüten liebt, legt sie ihren Fokus doch eher auf die Entfaltung. Wer meint, das sei ja fast dasselbe, der wird hier unter Umständen eine Gedankenmetamorphose erleben. Lesen Sie doch mal, was aus dem Leben wird, wenn Gott die Finger im Spiel hat.
Entfaltet und aufgeblüht – im Frühjahr und Frühsommer erleben wir das im Garten und in der Natur tausendfach. Und mit dem Zeitraffer kann man im Film sogar beim Entfalten einer Blüte zuschauen. Es ist faszinierend, wenn aus der kleinen grünlichen Knospe am Apfelbaum eine wunderschöne weiß-rosa Apfelblüte wird. Oder die Knospen der Frühlingsblüher nach dem Winter endlich aufblühen. Oder übertragen: wenn ein Mensch, weil er endlich die Aufgabe gefunden hat, die zu ihm passt, buchstäblich darin aufblüht, sich entfaltet.
Versprochen: Entfaltung
Sich entfalten können – ein durch und durch positiv besetzter Begriff! Mit der Hoffnung verbunden, dass endlich zum Vorschein kommt, was verborgen ist. In der Geschichte kennt man den Begriff „Blütezeit“ als Beispiel einer Epoche, auch in einem christlichen Werk wie unserem kann so ein Begriff vorkommen. Blüten sind schön, in Gottes Schöpfung in einer unglaublichen Vielfalt von Formen, Farben und Düften. Wenn man so will, in einer unglaublichen Verschwendung an Schönheit, oft für wenige Stunden. Aber jede Pflanze trägt Samen, dass Neues entsteht. In Zwiebeln und Knollen ist die Fähigkeit, im nächsten Jahr wieder zu keimen. Die Blüte hat den Ansatz zur Frucht, sie verliert ihre Schönheit für ein höheres Ziel, für einen größeren Segen, für Nachhaltigkeit.
Schön, vital und selbstbestimmt
Schön, gesund, vital, erfolgreich, selbstbestimmt - das sind Begriffe, die heute beim Stichwort „Entfaltung“ ganz oben stehen. Die knapp 30jährige Journalistin Marlene Knobloch hat kürzlich ein leseleichtes kleines Buch mit dem Titel „Serious Shit – Die Welt ist gefährlich – und warum wir das erst jetzt merken“ herausgebracht. Sie schreibt über die Ernüchterung ihrer erfolgreichen Altersgenossen durch die gegenwärtigen Krisen. Dass der Traum vom schönen, guten und selbstbestimmten Leben plötzlich der Realität des Krieges, der Ungerechtigkeit, der Eskalation des Bösen und dem unsäglichen unverschuldeten Leid vieler Menschen gegenübersteht.
Wir Christen sind auch nicht davor gefeit, den Traum vom schönen, optimal entfalteten Leben mitzuträumen. Und das ist nicht verboten, aber das ist nicht alles und es ist nicht nachhaltig. Ich ertappe mich selbst dabei, dass ich Kriegsnachrichten und Bilder nur noch dosiert oder als Textnachricht anschaue, dass ich mich in einen Film mit garantiert gutem Ausgang flüchte. Weil ich die harte Realität von sinnlosem Leid und schreiender Ungerechtigkeit nicht ertragen kann und will. Und - dass Leben eingeschränkt wird, behindert, ja tausendfach zerstört.
Nicht versprochen: Alles easy
Ich sehe auch in der Gemeinde Jesu in den vergangenen Jahrzehnten die Tendenz, auf Perfektion, Attraktivität, Aktualität und optimale Entfaltung des Individuums zu achten. Und das gefällt mir ja auch, das habe ich ja auch lieber, aber es ist nicht das Welt- und Menschenbild der Bibel und es tröstet nicht! Befreit sein in Jesus zu einem sinnvollen Leben, das sich entfalten darf - das ist versprochen. Aber das heißt nicht, dass alles nur schön und prachtvoll und easy ist. Das ist nicht versprochen! Darf ich Sie fragen:Wann gehen Sie getröstet aus einem Gottesdienst? Wenn alles super ist, alles attraktiv und anziehend, alle gut drauf? Oder wenn das Wort Gottes, ein Gebet, eine Liedzeile das Leben, wie Sie es grade erleben, aufnimmt – auch das Schwere und Unverständliche – und Sie erfahren, dass Gott dennoch bei Ihnen ist? Nachfolge ist nirgends im neuen Testament als Dauer-Halleluja-Trip beschrieben. Aber was ist dann mit der Freude, die versprochen ist?
Entfaltung in der Bibel
Da steht mir als erstes das starke Wort von Jesus vor Augen: Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben, Leben in ganzer Fülle (Johannes 10,10b). Das heißt doch, optimale Entfaltung und Freude – oder etwa nicht?Und es ist doch so: Bei Gott werden Naturgesetze überwunden, die Wüste kann blühen. Und nicht nur wie in der Natur, bei saisonalen Niederschlägen, sondern als göttliches Prinzip.
Für gutes erfülltes Leben hat die Bibel den Begriff der Frucht, weniger der Blüte - Blüte wird eher im Zusammenhang mit Vergänglichkeit verwendet. Wenn‘s ums Wachsen – Entfalten – seiner Bestimmung nachkommen geht, geht es um das Bild der Frucht. Und Frucht hat immer auch was mit Veränderung zu tun. Entfaltung und fruchtbares Leben kann der Mensch nur sehr bedingt aus sich selbst hervorbringen. Und ein sinnvolles Leben im Sinne des Auftrags Jesu gibt es nur in der Lebensverbindung an ihn. Das Kardinalwort dazu ist das Bild vom Weinstock, das uns im Johannesevangelium Kapitel 15 von Jesus überliefert ist. Und dort steht, dass unser Leben nur dann etwas für die Ewigkeit bewirkt, wenn wir an und in Jesus bleiben. „Ohne mich könnt ihr nichts [Bleibendes] tun“.
Dass sich das Leben entfaltet, hat auch etwas mit der Lebensführung unter Gottes Regie zu tun. Als ich mit 23 Jahren zum lebendigen Glauben an Jesus Christus kam, war mir klar, dass aus meinem Leben nur was Sinnvolles wird, wenn ich es in Gottes Wegweisung lebe. Die Führung in die Kommunität war zunächst nicht in meinem Plan für ein gelingendes Leben. Aber ich wusste, entgegen Gottes Willen wollte ich nicht mein Leben vertun, und so willigte ich in diese klare Führung, zunächst durchaus schweren Herzens, ein, und wagte diesen Weg. Im Rückblick sehe ich, dass es in meinem Fall so war, dass ich in meinen Aufgaben im Lebenszentrum, schwerpunktmäßig viele Jahre im Theologischen Seminar, überwiegend meinen Gaben gemäß eingesetzt war und sehr viel Freude und Entfaltung erlebte. Das ist nicht bei allen so, aber ich hatte dieses Vorrecht und kann sagen, dass sich mein Leben optimal in dieser Führung entfalten konnte.
Und dennoch: Entfaltung ist zeitlich. Bleibende Wirkung – Frucht – ist ewig. Was ist, wenn ein Leben scheinbar verkümmert ist, wenn eine Entfaltung durch Menschen, Schicksalsschläge wie Krankheit und Unfall oder auch durch eigene Schuld und deren Folgen verhindert wird? Wenn es selbst bei gutem Willen, Jesus zu folgen, nicht zur „optimalen Entfaltung“ des Lebens kommt? Dazu einige persönliche Worte von Melanie Kalbantner aus Mosbach, einer Singlefrau mittleren Alters, die im LZA mal ein Sabbatjahr lang studierte - Grundschullehrerin von Beruf- und das bei allen Herausforderungen auch immer wieder gerne und mit Herz für die Kinder. Vor zweieinhalb Jahren eine Krebsdiagnose, der einige Operationen folgten, zwischenzeitliche Wiedereingliederung und nun geht sie seit einem halben Jahr durch eine Chemotherapie:
„Nein, „geplant“ hatte ich diese Krebserkrankung mit allem Drum und Dran, dem Herausgenommen- und Ausgebremstsein nicht. Eigentlich lief die Wochen davor gerade mal alles so richtig gut. Und doch erlebe ich in dieser Zeit so viel Gnade. Welch Privileg, mit Jesus und ganz auf ihn geworfen da durchgehen zu dürfen, getragen auch durch das Gebet anderer. Die Bibel viel existenzieller zu lesen, zu buchstabieren - weil gar nichts anderes sonst bleibt. Von den Psalmen zu lernen. Vertrauen ist genau das: absolut ehrlich zu sein. Ihm auch meine Ängste, Sorgen hinzuwerfen… Wem denn sonst? Und immer wieder erleben: das führt mich neu in Lob und Anbetung. Ich ahne, erlebe: Er lässt mir diese Zeit zum Besten dienen. Nicht, indem ich lauter Wunder erleben darf (die auch!), sondern in dem er meine Beziehung zu ihm noch viel tiefer und enger werden lässt und mich auch in meiner eigenen Persönlichkeit mehr zum Kern kommen – zum Blühen und zur Entfaltung kommen lässt. Zutiefst wünsche ich mir, dass Frucht wächst und bleibt“.
Leiden und Entfaltung
Aus diesem persönlichen Bericht wird deutlich, dass es im Leiden eine andere Definition von Entfaltung und Frucht gibt. Das Ziel des Lebens mit Jesus ist nicht zuerst Entfaltung im Sinn vom gelungenen guten Leben, sondern das Wissen, dass Gott dabei ist. Und das tröstliche Wissen um das gute Ende und damit der Anfang in der Heimat bei Gott. Grenzen erlebt man besonders auch in der letzten Lebensphase, dem Alter. Eine fundamentale Erfahrung des Altwerdens ist, dass etwas nicht mehr möglich ist. Und dass es nicht dauernd aufwärts geht, sondern sogar rückwärts. In der Werbung sehen wir meist die vitalen Alten, und die gibt es ja auch. Und es gibt Menschen, die nach der Berufsphase nochmal einen Lebenstraum verwirklichen können. Aber keiner lebt ewig, die Vergänglichkeit und Endlichkeit ist Fakt, ob man das akzeptiert oder nicht. Ich wiederhole, Entfaltung ist zeitlich. Ankommen bei Gott in der Ewigkeit, wo alles gut ist, das ist ewig.
Versprochen: Nachhaltigkeit
Blühen und Frucht tragen - dass was bleibt – das wünsche ich mir! Wer mit Jesus Christus lebt, dem ist Nachhaltigkeit versprochen. Das ist das Eigentliche, was Gott schenken will, ein fruchtbares Leben. Und das ist unabhängig von der Entfaltung, der Länge und dem Erfolg unseres Lebens, von Gesundheit oder Krankheit, von Einschränkung und durchkreuzten Plänen. Wer sich Jesus Christus anvertraut, dessen Leben hat Auswirkungen, die in der Ewigkeit wiedergefunden werden. Was für ein Versprechen!
Sr. Dora Schwarzbeck gehört seit 1978 als Mitglied zur Kommunität Adelshofen. Sie ist Diplom Sozial Pädagogin (FH), Religionslehrerin, Bibliologin, langjährige Dozentin am Theologischen Seminar Adelshofen und war von 2006 bis 2016 leitende Schwester. Jetzt ist sie im Ruhestand und hilft immer da aus, wo es grad am nötigsten ist.