Prägung pur
Zum Thema Jüngerschaft gibt es massenweise Literatur und Kurse, aber kaum etwas ist wohl so prägend, wie das gemeinsame Leben mit Gleichgesinnten. Am Theologischen Seminar erlebt man eine Lebens,- Lehr,- und Lerngemeinschaft, ist eingebunden in eine dynamische Gemeinschaft und wird – quasi ganz nebenbei – tief und dauerhaft geprägt. Joachim Klein über sich multiplizierende Jüngerschaft im Alltag.
Da sitze ich spontan mit jemand zusammen, beim Frühstück oder Mittagessen. Da laufen wir uns „zufälligerweise“ über den Weg. Wir sehen uns, tauschen uns kurz aus. Und diese Begegnung verändert meinen Alltag, meine Sicht, mein Leben. Momentaufnahmen. Bei Jesus ist das ständig so. Damals und heute. Aus Begegnung entwickelt sich Nachfolge. Und die wird kurz und bündig anschaulich in einer der Schlüsselszenen der ersten Jünger: „Als er weiterging und am Zollhaus vorbeikam, sah er dort Levi sitzen, den Sohn des Alphäus. Jesus sagte zu ihm: »Folge mir nach!« Da stand Levi auf und folgte Jesus.“[1] Diese kurze Begegnung mit Langzeitwirkung zeigt Grundelemente der Nachfolge und Jüngerschaft. Jesus ist unterwegs. Wer an Jesus glaubt, ist mit ihm unterwegs. Übertragen auch: in Bewegung, oder er ist nicht mit ihm.
Die Nähe zu Jesus ist der Schlüssel
Darüber hinaus hat Jesus wichtige und wesentliche Gedanken für mein Leben als Christ. Es gilt also hinzuhören. Und das wird praktisch, konkret und ist mit Auswirkungen verbunden. Wie im Beispiel von Levi: Nicht sitzenbleiben. Aufstehen. Gehen. Nachfolge ist aktiv. Jüngerschaft ist zuerst aktiver Gehorsam Jesus gegenüber. Und Gehorsam hat mit hinhören zu tun. Das praktizieren wir unter anderem in den „Hör-Räumen“ von persönlicher Stille, Bibelgruppen, Lobpreiszeiten, Andachten und Dankzeiten am TSA und eben auch in den alltäglichen „Begegnungs-Räumen“.
Einen Jünger zeichnet zuerst und dauerhaft die Nähe zu Jesus aus. Aus der Gemeinschaft mit ihm entsteht alles, was der Jesusnachfolger lebt. Und für das praktische Christsein geht es deshalb nicht nur um den Rettungsgedanken und die Frage „Habe ich Jesus als Herrn akzeptiert?“, sondern viel mehr und vor allem um die Frage, wie sie der Philosoph Dalla Willard stellt: „Habe ich Jesus als Lehrer akzeptiert?“. So begannen die ersten Jünger. Sie erkannten erst auf diesem Lernweg, was das neue Leben bedeutet: Nämlich, so von Jesus zu hören[2], wie die Jünger zum Beispiel bei der Bergpredigt um ihn geschart hörten. Und so von Jesus zu lernen[3], wie er es im Vergleich mit einem Joch andeutet und sagt: „Lernt von mir.“
Und wir? Wie ist unser Lernverhältnis zu ihm? Diese Grundfrage hat von Beginn an die Studien- und Lerngemeinschaft am TSA geprägt. Dabei bildet das Lernsetting ein Dreieck, in dem Lernen von ihm immer und zugleich auch ein Lernen im Lernverhältnis mit den anderen „Schülern“ bedeutet. Oder wie es Miroslav Volf auf den Punkt bringt: „Theologie erfordert Pädagogik“, damit sie lebensgestaltend wird. Das hat Pfr. Riecker immer im Alltag lebendig gehalten, und wir tun das heute noch. Vertiefend und biblisch begründet verfolgte er die Praxis des Leib-Glied-Denkens, wie es im ersten Korintherbrief[4] zum Ausdruck kommt. Jesus-Nachfolger sind mit dem gleichen Ziel im Dienst und Leben „zusammengespannt“, und drücken so in gegenseitiger Bereicherung Gottes Anliegen auf die beste Weise aus. Dadurch werden sie für andere Menschen zu Werbeträgern und Anziehungspunkt für Jesus.
Leben teilen als Lehrmethode
Im gemeinsamen Austauschen und Teilen von Glaubens- und Lebenserfahrung geschieht Lebensveränderung; also in Relation und Resonanz mit den anderen beim Studieren und Alltag leben. Man prägt sich gegenseitig. Ganz im Sinne Jesu: Leben teilen als Lehrmethode. Das Studium besteht aus einer Lerngemeinschaft, die nicht nur davon lebt, dass Gottes Wort an einem selbst seine Kraft entfaltet, sondern auch im gegenseitigen Aufbauen und Herausfordern, um hilfreicher Zeuge für andere zu sein. Dadurch wird Gemeinschaft zur Präge- und Korrekturgemeinschaft. Für unsere individualisierte Gesellschaft und Christenheit in Deutschland ein herausfordernder Gedanke. Interessant, dass Jesus seine Jünger zwar auch einzeln berufen hat, sie aber als Gemeinschaft zusammengestellt hat: Als kleinen Kreis von 3 engen Begleitern oder etwas größer als Gruppe von 12 Jüngern oder im größeren Rahmen von 70 oder 120 Personen. Sie waren aufeinander angewiesen und wuchsen durch die Gemeinschaft.
Für Pfr. Riecker war bereits damals deutlich, dass Nachfolge eingebettet sein muss in eine Gemeinschaft von Nachfolgern. Kein Einzelchristentum. Das Vorbild von Dietrich Bonhoeffers Predigerseminar in Finkenwalde stand Pate. Studieren mit praktischer Lebensprägung. Der Begriff „erweckliches Leben“ in Adelshofen umfasst dabei nicht nur beständig erneuertes Leben in der Umkehr zu Jesus selbst. Sondern das besondere Profil von Jüngerschaft am TSA wurde unter anderem geprägt vom Gedanken, konkret zu glauben, von Gott alles zu erwarten[5] und aus seiner Liebe zu leben. Besonders praktisch ist das in gemeinsamen Gebetserfahrungen. Mit kindlichem Vertrauen Gott seine Anliegen zu sagen und im wachen Warten zu erfahren, dass und wie er handelt. Dieses gegenseitige, miteinander Einüben von Glauben im Leben in dieser Welt ist Lernen als Erfahrungslernen.
Wie sich Jüngerschaft multipliziert
So bleibt Glaube nicht rückwärtsgewandt, sondern ist hoffnungsvoll. Denn wir brauchen „Hoffnung, und sie entzündet sich an dem, was er (Gott) auch heute tut“ (Pfr. Otto Riecker.) Jüngerschaft multipliziert sich nur, wenn wir frisch bleiben. Frisch in der Liebe Jesu, seiner Kraft und der Hoffnung. Nur wenn wir andere mithinein nehmen in diese Lerngemeinschaft mit Jesus erfüllen wir den Auftrag, ganz nach der Zuspitzung Otto Rieckers Buch „Mission oder Tod“. Das ist nicht immer leicht. Und Nachfolge bedeutet hier vor allem auch in schwierigen Zeiten dem Beispiel Christi folgen[6]. Es gilt, eigene Träume um des Reiches Gottes willen zurückzulassen[7]. Sich von Jesus in und für sein Reich prägen zu lassen. Und „formen“ heißt hier auch, sich auf andere einzulassen. Grundlegend wichtig ist hier: wie im Bild der Nachfolge als Wanderung, Jesus im Blick zu behalten: Auf dem Weg der „Wanderung des Glaubens“ nie weiter weg zu sein, als der Blickkontakt es bei einer Wanderung zulässt. Sonst besteht die Gefahr, die Orientierung zu verlieren und auch den Lebensweg aus eigener Kraft stemmen zu wollen. Jesus nachfolgen – das bleibt ein immerwährender Aufbruch.
In diesem Sinne gilt es nie anzufangen aufzuhören und nie aufzuhören anzufangen. „Komm! Und sieh!“. Diese Einladung Jesu gilt auch heute und ist der abenteuerliche Aufbruch in eine persönliche Ausbildung bei Jesus als Lehrer.
Joachim Kleinleitet die Übergänge am Theologischen Seminar, lehrt im Bereich Praktische Theologie und coacht Menschen, die auch gut durch den Winter kommen wollen.
[1] Markus 2,14
[2] Matthäus 5, 1-2
[3] Matthäus 11, 29
[4] 1. Korinther 12
[5] Matthäus 10
[6] 1. Petrus 2,21
[7] Markus 8,34