Alles, was ihr tut
Es gibt Aussagen, die nur auf den ersten Blick hin schlüssig sind, deren Komplexität sich aber immer weiter entfaltet, je länger und tiefer man sich mit ihnen beschäftigt. Sr. Martina hat sich, als erklärte Nichttheologin, einen dieser Zusammenhänge vorgenommen und schreibt sich ihre Gedanken dazu von der Seele.
Meine erste Tat am Morgen: Kaffeemaschine in Gang setzen. Und dann mein erstes Wort am Tag: Ein Gebet an Gott richten: Herr, du allein weißt, wie mein Leben gelingen kann. Lehre mich in der Stille deiner Gegenwart…
Unser menschliches Tun hat seinen Ursprung in Gottes Tun. Er ließ die Welt durch seine Worte entstehen, sein Handeln war zielgerichtet, er wusste, was er tat, und er hat eine klare Vorstellung davon, wohin es gehen soll. Mit der Welt als Ganzes, aber auch mit jedem einzelnen Menschen. In der Folge und daraus ableitend sollen auch unsere Worte und Werke klar sein und das Vertrauen sichtbar werden lassen, das wir zu Gott haben. Bevor wir am Morgen etwas tun oder sprechen ist unser Körper schon längst aktiv. Ohne unser Dazutun. Das Gehirn hat bereits den Prozess des Aufwachens in Gang gesetzt, Blut und Sauerstoff haben sich die ganze Nacht verteilt und uns am Leben erhalten, dank eines Herzens, das – dem Herrn sei´s gedankt – nicht eingeschlafen ist. Gott war bereits und ist am Werk.
Wir sind lebendig
Bewusste oder auch unbewusste Aktivität, wie Abläufe in unserem Körper zum Beispiel, auf die wir wenig Einfluss haben, sind Kennzeichen von Lebendigkeit und Leben überhaupt. Etwas bewusst tun zu können verleiht uns Handlungsmöglichkeiten, Selbstwirksamkeit und Wohlbefinden. Wir sind nicht Statisten, wir sind Akteure! Schon Adam und Eva hatten im Paradies ihre Aufgaben und gingen nicht einfach nur mit Gott spazieren. Wer nichts mehr selbst tun kann oder will, verliert viel an körperlicher Lebendigkeit. Manche Menschen erleben sich dann als hilflos, bedeutungslos, oder empfinden ihr Dasein gar als sinnlos. Und auf Dauer können sich Gedanken wie „nutzlos gleich wertlos“ einschleichen. In einer Leistungsgesellschaft ist das nicht so einfach zu ertragen. Dabei hängt der Wert des Menschen ja nicht von seinem Tun ab, sondern vom Geliebt- und Angenommensein Gottes, ganz ohne menschliches Zutun, ganz ohne irgendeine Leistung. Und doch ist das Tun etwas Schöpfungsgemäßes, es gehört unbedingt zu unserem Leben dazu und die Spannung zwischen Tun und Ruhen löst ein altes Sprichwort: Durch die Übertreibung des Guten beginnt das Böse. Erst durch ein dauerhaftes zu viel Tun wird es ungesund. Für den Körper und auch für die Seele.
Ist das sinnvoll?
In aller Regel ist die Absicht unseres Handelns eine Notwendigkeit. Wenn ich essen will, muss ich mir etwas zubereiten oder besorgen, dafür brauche ich Zeit und Geld, also muss ich arbeiten, das konditionelle Prinzip ist erkennbar: Nicht arbeiten - kein Geld, kein Essen. Demzufolge verbringen wir einen großen Teil unseres Lebens schlicht damit, uns selbst und unsere Familie am Leben zu erhalten. Für viele Menschen auf der Erde geht es genau darum: am Leben zu bleiben. Auch in unserer westlichen Welt müssen wir für unseren Lebensunterhalt etwas tun, aber darüber hinaus beschäftigen sich im Westen viele mit einer Frage, die sich anderen nicht stellt: Ist das, was ich tue, auch sinnvoll? Befriedigt meine Arbeit mich? Am Ende kommt es auf die eigene Herzenshaltung an, wenn es darum geht, meinem Tun eine Bedeutung zu geben. Auch die eigene Bewertung dessen, was man tut, beeinflusst die Gefühle dazu und darüber.
Es geht ums Herz
Es gibt ein Tun um der Anerkennung oder Ehre willen. Man denkt dann: Wenn ich etwas tue, dann bin ich auch wer. Man definiert sich über das Tun. Meint, wenn man etwas leistet, wird man gesehen und hat Bedeutung. Aber wenn das Tun wegfällt, wer ist man dann? Auf der anderen Seite kann man aber auch vom Pferd fallen. Das „nicht tun“ oder „nicht reden“ aus Sorge, die Harmonie zu gefährden, ist ebenso ungesund wie gefährlich. Es ist und bleibt ein immerwährendes Abwägen. Für alle von uns. Kaum einer wird dauernd seinen inneren Motivationspuls fühlen und sich fragen, warum er so gehandelt hat, wie er es gerade tat. Das gilt für Handlungen ebenso wie für Äußerungen. Wir sind uns leider nicht immer im Klaren über das, was wir tun und reden. Vieles entspringt intuitiv unseren inneren Motiven: Das, Wes das Herz voll ist, geht der Mund über, Lukas 6,45. Bewusste Strategien kommen kaum zur Geltung. Aber, was für manche erschreckend scheint, ist für andere großer Trost, ich habe noch ein Wort aus der Bibel dazu: Der Mensch sieht, was vor Augen ist, aber Gott schaut das Herz an, 1. Samuel 16,7. Gott, der Allmächtige und gleichzeitig mein Vater, weiß, warum ich etwas tue oder sage, und Verantwortung dafür trage ich zunächst auch vor ihm allein.
Bitte nicht wegducken
Immer hat das, was wir tun, Folgen. Egal, ob mit Werken oder Worten, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt. Die Schlange im Paradies führt Adam und Eva mit ihren eigenen Worten und mit ganz eigener Absicht in Versuchung, wälzt aber die Verantwortung dafür auf Gott ab: Sollte Gott gesagt haben…? 1. Mose 3,1. Ähnliche Mechanismen zum Wegschieben der Verantwortung sehen wir bei Kain und Abel. Unsere Taten haben Konsequenzen, und es gilt, Verantwortung für sie zu übernehmen. Da spielt es keine Rolle, ob ich etwas gewollt oder ungewollt getan oder gesagt habe. Aber genau das fällt vielen nicht leicht: Verantwortung für das eigene Handeln und Sprechen zu übernehmen. Lieber versucht man sie auf andere, auf die Umstände, die Eltern, die Kollegen, den Staat oder sonst wen abzuwälzen. Dabei würde sich manche Schwierigkeit durchaus vermeiden lassen, wenn wir erstmal nachdenken würden, bevor wir handeln, und wenn wir den anderen unsere Gedanken und Absichten mitteilen würden.
Wir Menschen entwickeln uns, können lernen und gestalten, manches geschieht aber zeitverzögert. Die Folgen unserer Erziehung und Schulbildung zum Beispiel sind erst im Erwachsenenalter zu sehen. Vieles war gut gemeint, aber nicht immer gut gemacht. Folgen, die erst später sichtbar werden, haben aber oft sehr nachhaltige Auswirkungen. Gott sei Dank: Versäumtes Handeln lässt sich manchmal nachholen oder kann durch Gegensteuern behoben werden. Da ist und bleibt Hoffnung! Und auch das gilt: Gott kann auf krummen Linien gerade schreiben. Er kann unseren Mist in Dünger verwandeln. Wir müssen nicht den Mut verlieren, weil wir etwas falsch gemacht haben - aus diesem Vertrauen leben wir Christen und lernen aus unseren Fehlern!
Chance und Risiko
Im Prinzip stimmt, was gilt: Je größer die Verantwortung, desto bedeutungsschwerer die Tat. Die Geschichte zeigt uns eindrücklich, dass das Handeln von Landesfürsten und Staatschefs schon immer zu gravierenden Einschnitten für Volk und Regierte führte. Entscheidungen, die von oben gefällt werden, können den Menschen dienen oder zerstörerisch wirken. Ein Beispiel? Welch ein Segen war doch die Einführung der Sozialversicherungen und welch ein Fluch die militärischen Angriffe auf andere Länder. Bei beiden Handlungen, Sorge für andere oder kriegerischer Angriff, ist der Ursprung im menschlichen Herzen zu finden. Der Mensch ist fähig, Gutes und Böses zu tun, nur zum konsequent und dauerhaft Guten haben wir keine Veranlagung. Und doch sind wir als Christen bestrebt, dem Guten den Vorrang zu geben. Leider gelingt das nicht immer, und Taten und Worte, die in bester Absicht geschehen sind, kommen beim Gegenüber völlig anders an. Das, von dem ich dachte, es tue dem anderen gut, war nicht das, was er wirklich brauchte. Das schmerzt auf beiden Seiten. Manchmal mehr, als man ertragen kann. Hilflosigkeit macht sich breit, Verzweiflung will das Ruder übernehmen. Ich tue mich schwer mit Aussagen wie: „Gott hat mir gesagt, dass ich dieses oder jenes tun oder lassen soll“, weil sie so absolut und unanfechtbar klingen. Wer wagt denn da zu widersprechen, wenn Gott tatsächlich etwas aufgetragen hat? Ja, mir fällt es wirklich nicht leicht, darauf zu reagieren, und ich frage mich, wer wohl am Ende die Verantwortung trägt, wenn das, was vermeintlich von Gott kam, menschlich schiefgeht. Ist es dann Gott als empfundener Auftraggeber oder der Mensch, der sich entschlossen hat, etwas zu tun? Wer kümmert sich denn um den Scherbenhaufen? Das, Wes das Herz voll ist, geht der Mund über, und ja, der Mensch sieht, was vor Augen ist, aber Gott schaut das Herz an. In dieser Spannung leben wir und ringen um verantwortliches, beherztes und fröhliches Handeln. Immer wieder neu!
Der Maßstab für Werte
Dieses Handeln richtet sich an Leitlinien, an Überzeugungen aus. Im Mai haben wir den 75. Geburtstag unseres Grundgesetzes gefeiert, der Grundlage für unsere Werteordnung in Deutschland. Die in der Verfassung festgehaltenen Grundrechte schützen den Freiheitsraum des Einzelnen vor Übergriffen des Staates und sind Kern unserer demokratischen Grundordnung. An der Verfassung orientieren sich alle anderen Gesetze, keines darf ihm widersprechen. Auch und besonders als Christen sind wir an dieses Grundgesetz gebunden, auch wenn wir uns am dringlichsten an Christus selbst orientieren wollen. Er ist der Maßstab für unsere Worte und Werke.
In unserer Kommunität beten wir dienstags miteinander unter anderem dies: „Herr Jesus Christus, gebrauche unsere Hände, damit wir das tun, was du gestalten willst…“ Und woher weiß man, was er gestalten will? Oder wie haben wir Kolosser 3,17 zu verstehen: „Alles, was ihr tut mit Worten und Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus“. Für mich übersetzt heißt das, alles, was ich tue, soll ich im Sinne von Jesus tun. Das bedeutet, ich muss Jesus kennen, muss wissen, wer er ist, was ihm wichtig ist. Da kann ich manches der Bibel entnehmen und lerne auch viel im Austausch mit anderen Christen. Aber es wird immer ein Restrisiko bleiben, dass unser Handeln doch nicht im Sinne von Jesus war, dass wir uns getäuscht haben, fehlinterpretiert, dass der eigene Antrieb größer und stärker war. Weil wir eben nicht Jesus sind, sondern Menschen, die immer die Fähigkeit zur Sünde in sich tragen. Aber Gott sei Dank, gibt es auch bei einem Fehlverhalten noch die Möglichkeit, um Verzeihung zu bitten, bei Gott und Menschen.
Das macht mir Mut
Thomas Härry schreibt in seinem Buch „Von der Kunst sich selbst zu führen“ zwei für mich sehr hilfreiche Gedanken von Dietrich Bonhoeffer, die mir gerade in verantwortlicher Leitungsposition helfen, wenn ich nur zwischen „Pest“ und „Cholera““ entscheiden kann: „Wer in Verantwortung Schuld auf sich nimmt – und kein Verantwortlicher kann dem entgehen – rechnet sich selbst und keinem anderen diese Schuld zu und steht für sie ein, verantwortet sie. Er tut es nicht in dem frevelnden Übermut seiner Macht, sondern in der Erkenntnis, zu dieser Freiheit genötigt und in ihr auf Gnade angewiesen zu sein“. Und: „Unser Anspruch darauf, zweifelsfrei zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können, sei unsere eigentliche und größte Sünde. Denn darin wollen wir sein wie Gott. … wer meint, Gut und Böse zweifelsfrei erkennen und unterscheiden zu können, der macht sich zum Richter. Zum Richter über sich selbst und zum Richter über den anderen Menschen – denn er weiß ja stets genau, was er und andere falsch und richtig machen.“ Das will ich mir zu Herzen nehmen und lernen, alles, was ich tue, in Worten oder mit Werken, im Namen des Herrn Jesus zu tun und Gott, dem Vater zu danken. Für seine Gnade über meinen Misserfolgen.
Sr. Martina Luschnat leitet seit 2022 als verantwortliche Führungskraft gemeinsam mit einem Team die Kommunität, der sie seit 1994 angehört. Von Beruf ist sie Tischlerin und bekommt noch heute leuchtende Augen, wenn sie Holz riecht – und ist einem guten Steak nicht abgeneigt.