Weil du es kannst

Eine Frage beschäftigt die Menschheit immer wieder neu: Warum sollte der Mensch etwas tun? Warum handeln, aus welchem Grund aktiv werden, mit welchem Ziel sich investieren? Nun, die Antwort liegt auf der Hand, meint Joachim Klein, und sagt: Weil du es kannst!

 

 

Jesus ist ein guter Beobachter. Er sieht die kleinen Dinge. Er lenkt unseren Blick auf Situationen, aus denen wir zutiefst lernen können – für unsere Haltung. Damals und heute. Vielleicht würde er heute in einer Eisdiele in der Fußgängerzone sitzen, Menschen beobachten und uns mit seiner Perspektive überraschen. Damals saß er gegenüber dem Kasten, in den Spenden eingelegt wurden, um Opfer im Tempel zu ermöglichen (Markus 12,41-44). Dort legten viele Leute etwas ein. Reiche, Arme und wie sie heute bezeichnet wird, die „Mittelschicht“. Viele Reiche legten viel ein. Und die anderen? Jesus hat besonders eine Frau im Blick: sie war arm, ihr Mann war verstorben, sie ist also Witwe. Was würde sie einlegen? Jesus berichtet den Jüngern davon und betont: Diese Frau hat mehr eingelegt als alle anderen. Wie viel kann das sein? Wie hoch ist die Summe wohl, wenn doch so viele Reiche so viel eingelegt haben? Die Frau aber hatte die Kleinstmögliche im damaligen Münzsystem eingelegt. Man ist schnell versucht zu übertragen: ach so, dann ist das heute also ein Cent … weit gefehlt.

 

Münzexperten sagen: viel weniger als das. Was die Frau gab, war rund ein Achtel eines Cents.

Jesus achtet aber kaum darauf, er schaut eben nicht auf das Äußere. Er sieht auf ihre Haltung. Sie hat nicht von ihrem Überfluss gegeben, sondern gab ihren Lebensunterhalt. Vielleicht ist Selbstlosigkeit heute nicht die gefragteste aller Tugenden, aber sie zeigt etwas von Gottes Liebe in dieser Welt. Die Frau gibt sich mit ihrem Leben ganz Gott hin. Für sie ist es wertvoll, diesem Gott zu dienen. Gerade auch mit dem äußerlich scheinbar wenigen. Es ist ihr wohl auch bewusst: Gott gehört alles. Alles, was ich habe, das habe ich von ihm. Ich bin lediglich Verwalterin; und so setze ich alles für ihn ein.

 

Zwischen Weigern und Hingabe

Daran erinnert auch ein Wort aus dem Buch der Sprüche in der Bibel: „Weigere dich nicht, dem Bedürftigen Gutes zu tun, wenn deine Hand es vermag.“ (Sprüche 3, 27). Das Buch der Sprüche enthält gesammelte Weisheiten, bezogen auf ein gottgefälliges Leben. Es geht um Gottes Weisheit und Orientierung, die Leitplanken für den Alltag bedeuten. Wir finden dort „kurze Sätze mit langer Erfahrung“ wie es einmal jemand exzellent beschrieben hat. Es scheint eine wichtige Erfahrung zu sein: „Tue, was du kannst“! Und: „Gib, wenn du hast.“ Es zeigt etwas von der Realität, die die Beziehung zu Gott in zwischenmenschlichen Beziehungen im alltäglichen Leben hat. Auch ich selbst bekomme von Gott. Verkürzt heißt der Vers „Verweigere nicht das Gute“. Im Grund verweigere ich mir das Gute, wenn ich mich weigere, durch mein Handeln Segensspuren in dieser Welt zu hinterlassen. Ich muss die Latte ja noch nicht so hochlegen, wie die Witwe: Nichts haben und doch geben! Aber im Vertrauen auf Gottes Versorgung gebe ich, weil ich Empfangender bin. Vielleicht bin ich dabei manchmal hin- und hergerissen, ob ich nun wirklich handeln soll. Was dann?

 

Ich weigere mich nicht, ich habe Gründe

Es entstehen Fragen in mir: Wer ist denn schon wirklich bedürftig? In unserer Zeit? Oder ich frage mich: Ist es wirklich richtig, dieser Person etwas zu geben, wo ich doch gleichzeitig weiß, dass andere noch viel mehr bräuchten? Die Menschen in anderen Ländern…? Oder ich blicke auf unsere aktuell vermeintlich so schlechte Situation im Land. Oder ich merke, ich will nichts geben und dann denke ich: Ich kann ja auch gar nicht und erfinde tausend gute Gründe, die ich nach außen gut vertreten und als Entschuldigung nutzen kann. Als Ausrede. Oder ich unterschätze meinen Einfluss: Was kann ich schon tun? Hilfreich könnte sein zu überlegen, welche Diskussionsführer in mir aktiv werden: also meine verschiedenen Haltungen[1] wahrnehmen. Damit werde ich mir meiner Motive bewusster und kann bei der nächsten Anfrage „selbst-bewusster“ antworten. In dieser Linie könnte ich reflektieren:

 

Welche Gedanken gehen mir durch den Kopf? Kann ich klare Sätze identifizieren? Vielleicht sogar so etwas wie verschiedene Streitparteien in mir identifizieren? Welche Argumente bringen sie? Kommen mir diese bekannt vor? Haben sie konkret mit meiner Prägung durch meine Familie zu tun? Bin ich überzeugt davon, dass diese Argumente richtig sind, und finde gute Gründe in Gottes Wort? Oder wie kann ich sie neu beleuchten und entdecke, dass manche keine echten Argumente sind, sondern vorgeschobene Sätze, um mich zu schützen oder mir Unannehmlichkeiten zu ersparen? Welcher ist mein Standpunkt? Uns muss immer wieder deutlich werden: Das Privileg von Besitz legt auch eine besondere Verantwortung auf! Die Frage ist, wie nehme ich sie wahr? Und Ja, ich darf natürlich Grenzen setzen, aber ich darf auch von Gottes Anspruch aus auf mein Leben blicken! Das ist zumeist eine wegweisende Korrektur der Perspektive. 

 

Von Zurückhaltung zur Geberlaune

Letztlich geht es um unser Herz. Lassen wir uns berühren von dem, was andere umtreibt? Wenn ich mich selbst als Beschenkten erlebe, dann komme ich in wahre Geberlaune und Geberfreude. Und wenn ich dementsprechend handle, dann wirkt sich das auf mich aus, fällt positiv auf mich zurück. Wer für sich selbst den Eindruck zementiert hat, immer zu kurz zu kommen, verfällt dieser Laune natürlich nicht, wie könnte er auch. Es hilft aber sich bewusst zu machen, wie spendierfreudig unser großer Gott ist (Johannes 1,16). Und es hilft sich klarzumachen, dass wir etwas einbringen und verändern können. Gott selbst traut uns zu, dass wir kraftvoll mitgestalten.

 

So wirkt der Gute das Gute durch die Guten! Durch die, die ihm nachfolgen und mit ihren Taten auf ihn selbst verweisen und ihm Ehre bereiten! Das muss nicht immer und allein in Geld zum Ausdruck kommen, natürlich nicht! Dietrich Bonhoeffer schreibt dazu: „Keiner ist für den geringsten Dienst zu gut. Die Sorge um den Zeitverlust, den eine so geringe und äußerliche Hilfeleistung mit sich bringt, nimmt meist die eigene Arbeit zu wichtig. Wir müssen bereit werden, uns von Gott unterbrechen zu lassen.“[2] Deshalb: Fasse dir ein Herz und investiere, was du kannst!

 

 

Joachim Klein lebt mit seiner Frau Silke in Adelshofen und ist Studienleiter am TSA. Er lehrt im Bereich Praktische Theologie und Beratungsformen und begleitet Veränderungsprozesse von engagierten Menschen und Gemeinden. Im Sommer zieht es ihn wieder nach Holland zum Weitblick ans Wasser.

 

[1] Diese und andere Alltags-Strategien, unter anderem auch für Entscheidungen, erarbeiten wir in unseren Weiterbildungsmodulen IMC am Theologischen Seminar.

[2] Dietrich Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, Bd. 61, Theologische Existenz heute (München: Chr. Kaiser, 1939), 67.