Ganz in der Welt
Was für ein dehnbarer Begriff. Welt. Was ist das schon? Und was bedeutet es? Mario Schnell meint, das sei zwar komplex, aber dann auch wieder gar nicht so schwer zu definieren, und kommt zu dem Schluss, dass Christen sich wohl anpassen müssen, wenn sie mit ihrer Botschaft noch Gehör finden wollen.
Wahrnehmung ist ja so eine Sache. Neulich habe ich in einem Streitgespräch zwischen zwei Menschen den Satz gehört: „Na, dann ist halt deine Wahrnehmung falsch!“ Ende der Diskussion. Der Empfänger dieser Botschaft war mit dieser Unterstellung sichtbar unglücklich. Wenn man jemandem tatsächlich eine „falsche Wahrnehmung“ unterstellen kann, dann ist schnell klar, dass der „Untersteller“ seine eigene Wahrnehmung der Dinge wohl für die richtige hält. Wahrnehmung ist also etwas Subjektives, und welche Schlüsse ich daraus ziehe, noch viel mehr. „Falsch“ ist unsere Wahrnehmung wohl nie, aber unterschiedlich bleibt unser Blick auf die Welt definitiv.
Hoffnungslos?
Ich frage mich, wie nehmen wir als Christen „die Welt“ denn wahr? Jede und jeder Einzelne anders? Und wenn ich hier von „der Welt“ spreche, meine ich den größten Aspekt, den wir aus Johannes 3,16 ziehen können: Die Welt, die Gott so sehr geliebt hat. Heißt: Alle Menschen, die auf dieser Welt leben und sie gestalten. Menschen, von denen die meisten hoffnungslos verloren sind, weil sie Jesus nicht kennen, und einen Retter brauchen. Wie nehmen wir diese Menschen wahr? Jeder von uns ist in einer bestimmten Kultur aufgewachsen, die uns geprägt hat – die vor allem auch unser Glaubensleben und unsere spirituelle Wahrnehmung geprägt hat. Meistens hat sie einen viel höheren Einfluss darauf, wie wir unsere Mitmenschen, die Geschehnisse in der Welt und sogar die Aussagen der Bibel wahrnehmen, als mir oft bewusst oder lieb ist.
Minderheit?
Nun leben wir im 21. Jahrhundert – und das in Deutschland - einem der am wenigsten christlichen Länder der westlichen Welt. Deutschland zählt mit maximal 2 - 3 Prozent tatsächlich wiedergeborener Christen zu einem der Missionsländer dieses Planeten. Wenn wir also eines wissen, dann, dass wir eine krasse Minderheit sind, wenn wir ernsthaft Jesus nachfolgen. Das ist an sich nicht das Problem, das war schon immer ziemlich normal für Christen in dieser Welt. Aber es zeigt sich spätestens seit den 60er Jahren und der dort verankerten sogenannten „sexuellen Revolution“, wie massiv die kulturelle Entwicklung unseres Landes unsere christliche Überzeugung angreift. Ich bin sicher nicht der Erste, der sich Gedanken darübermacht, wie er aufgrund dieser Wahrnehmung und dieses Wissens den Menschen begegnen kann und soll. Ganz individuell zunächst, dann aber auch und vor allem als Gemeinschaft von Christen.
Auseinandersetzung?
Da gab es verschiedene Trends in der Geschichte der Kirche, wie man auf die kulturellen Unterschiede reagiert hat, die ja vor allem in ethischem Verhalten sichtbar werden. Und wenn es um ethische Entscheidungen geht, gibt es dann doch einige Anweisungen von Jesus. Die sind übrigens gar nicht so schwer in die eigene Kultur zu übersetzen, wenn man denn offen an die einzelnen Punkte rangeht, sich also kritisch mit dem eigenen kulturellen Verständnis und Umfeld auseinandersetzt. Bei der Frage, wie wir unseren Mitmenschen, also der Welt, begegnen, erkenne ich zwei Tendenzen, die schwierig sein können: Zum einen gibt es Kirchen und Gemeinden, die quasi nichts mit ihrem Kontext zu tun oder gemeinsam haben. Und zum anderen es gibt solche, die sich von ihrem Kontext nicht mehr unterscheiden lassen. Mit Kontext meine ich hier das unmittelbare Umfeld einer christlichen Gemeinschaft. Also alles, was das Leben der Menschen an einem Ort betrifft und ausmacht. Konkret geht es dabei um die Frage, wer die Menschen in meinem Umfeld sind und welche „Kultur“ sie haben. Und weil ich deutsche Missionare in Deutschland kennengelernt und gesehen habe, wie sie Gemeinde „leben“, bin ich davon überzeugt, dass es einen gesunden Weg gibt, sich als Christ und Gemeinde zwar am Kontext zu orientieren, aber eben nicht als bedeutungslos darin unterzugehen. Auch wenn dieser Weg herausfordernd ist.
Berührungspunkte?
Wenn eine Kirche im heutigen Deutschland „überleben“ und lebendig bleiben will, dann wird sie nicht drum herumkommen, sich ganz bewusst auf ihre Mitmenschen einzulassen. Das heißt: Jeder von uns muss sich früher oder später Gedanken darüber machen, inwieweit er bereit dazu ist, sich selbst nicht wichtiger zu nehmen als die verlorenen Menschen in seinem Umfeld, wir sehen diese krasse und liebevolle Einstellung im Verhalten von Jesus (Philipper 2,4-11) und Paulus (1.Korinther 9,19-23). Es wird immer sehr kritisch, wenn wir Christen nichts mehr mit den Menschen gemeinsam haben, keine Berührungspunkte mehr mit ihnen haben, die wir eigentlich mit der guten Nachricht von Jesus erreichen wollen. Wenn wir also in einer eigenen Kultur und Tradition unter Christen leben, die eine Mauer für die Menschen darstellt, und sie daran hindert, Jesus kennen zu lernen. Durch uns und unser Vorbild! Genauso kritisch wird es, wenn wir so viel mit der Kultur unserer Mitmenschen gemeinsam haben, wenn wir so in ihr eingetaucht sind, dass diese gar nicht mehr merken, dass es einen Unterschied macht, wenn man als entschiedener Christ lebt. Jesus hat uns ganz bewusst in dieser Welt berufen. Er hat uns aber auch ganz bewusst den Auftrag gegeben, unseren Mitmenschen in ihrer Kultur zu begegnen und so einen Unterschied zu machen (Matthäus 28,18-20; Johannes 17).
Überlebensfähig?
Wie begegnen wir also der Welt? Wir dürfen den Mut haben, uns, so gut wir können, selbst zu hinterfragen: Spiegelt die Kultur, die ich als Christ und die wir als Kirche leben, wirklich die gute Nachricht von Jesus wider? In all ihren Auswirkungen? Wie bewusst lässt sich meine geistliche Gemeinschaft auf die Menschen in unserem konkreten Lebensalltag ein? Leben wir nach dem Vorbild, dass Jesus uns gegeben hat, oder sind uns andere Dinge wichtiger und lieber geworden? Natürlich. Die Frage, wie wir die Welt wahrnehmen und ihr begegnen sollen, können oder vielleicht sogar müssen ist noch viel komplexer, das ist mir bewusst. Aber es ist ein guter Anfang, sich mit der beschriebenen Spannung auseinanderzusetzen, der Spannung, die uns begegnet, wenn wir Mission in Deutschland wieder neu als Auftrag entdecken.
Mario Schnell ist 25 Jahre alt, studiert im vierten Jahr am TSA und absolviert bis Ende Februar sein Praktikum in der Lukas Gemeinde e.V. in Berlin-Schöneberg. Er hört Gospelrap, isst gerne Kuchen und wünscht sich, dass mehr Christen in Deutschland einen missionalen Lebensstil entwickeln.