Wer sagt denn, dass ich mutig bin?
Dass es nicht immer nur ein Spaziergang ist, die eigene Berufung zu leben, ahnen viele. Aber nicht alle gehen so ehrlich und offen damit um wie Frank Hollmann. Und er tut das nicht als jemand der jammert, sondern als Mann, der reif für das Leben ist. Im Gespräch mit Detlef Eigenbrodt reflektiert er seinen ganz speziellen Alltag, schaut zurück. Und vor allem nach vorn.
Ihr habt euch vor einigen Jahren entschieden, ein Pflegekind aufzunehmen. Wie groß war deine Angst, dass das schief geht?
Ja, es war schon ein kleiner Neuanfang, unsere bis dahin Jüngste war damals 10 Jahre alt, also aus dem Gröbsten raus, wie man so schön sagt. Wir hatten uns das mit dem Pflegekind gut überlegt und mit unseren drei Kindern abgesprochen, außerdem haben wir es auch als eine Art Berufung angesehen, was sollte also schief gehen? Und die Kleine war ja erst ein paar Wochen alt, wir könnten sie also so erziehen wie unsere eignen Kinder. Das hatte ja schon drei Mal ganz gut geklappt, so sollte es doch jetzt auch klappen. Also Angst hatte ich, soweit ich mich erinnere, nicht.
Aber vermutlich ist im Alltag doch einiges „durcheinandergekommen“?
Nun ja, wir waren gerade dabei, uns an so manche Freiheit zu gewöhnen, zum Beispiel, dass wir abends auch mal weg gehen konnten, ohne dass jemand für die Kinder da sein musste. Oder dass im Haus nun nichts mehr vor den Kindern abgesichert werden musste, die Treppen etwa, oder der Kamin. Auch bei der Urlaubsgestaltung, auf einmal wieder mit Baby, wurden die verschiedenen Ansprüche schnell deutlich. Selbst ein Tagessausflug musste nun kinderwagentauglich sein. Und wenn wir reden, egal, wer mit wem, geht es nun oft und viel um die Kleine. Man könnte echt sagen, es ist alles anders geworden.
Das klingt nach einem dicken Brett, dass ihr da zu bohren habt. Für was brauchst du dabei am meisten Mut?
Das ist eine gute Frage. Ich denke zurzeit ist es, dass ich bei der Prioritätensetzung mich selbst und unsere Ehe nicht aus dem Blick verliere. Da gibt es die Bedürfnisse der Kleinen, gerade auch jetzt, wo doch einige Entwicklungsdefizite sichtbar werden. Das zieht wiederum weitere Termine nach sich. Und auch wenn meine Frau die meisten Termine abdeckt, muss doch immer wieder alles abgeglichen werden, damit es passt. Manches erledigen wir auch lieber zusammen, und das kostet Zeit. Die Gespräche, die wir dazu führen, gehen aber oft nicht über das Organisatorische hinaus, was wiederum die Beziehung nicht vertieft. Wie kann ich mir da Zeit für meine eigenen Bedürfnisse, oder Hobbys, nehmen? Darf ich das als „guter Christ“ überhaupt? Sollen wir uns nicht aufopfern, ohne dabei an uns selbst zu denken? Was, wenn die Kraft für die Familie fehlt? Das sind die Fragen, die ich mir gerade immer wieder stelle, und für die Antworten brauche ich Mut.
Wo nimmst du den her?
Wer sagt, dass ich den habe? Oft genug fehlen mir die richtigen Antworten, weil mir der Mut dazu fehlt. Manches Mal muss es einfach „Nein“ zu einer Aufgabe sein, ohne, dass ich das immer genau erklären kann, oder will. Und das fühlt sich dann so an, als wäre ich nicht stark genug. Andere haben auch Kinder und schaffen scheinbar so viel mehr. Was ich brauche, und was mir Mut macht, ist der Blick auf das, was Gott gesagt hat, auf seine Berufung, seinen Auftrag. Wenn das gelingt, dann wird manches Problem kleiner.
Und wie ist das mit den fröhlichen Momenten, Frank? Wann lachst du herzlich, wann fällt die Anspannung von dir ab? Wann bist du glücklich und überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben?
Gott sei Dank, die Momente gibt es natürlich auch: Wir sitzen am Tisch und es gibt Pommes, eine Ketchupflasche ist leer, die Kleine nimmt die neue, bekommt sie sogar auf, sie sieht von oben hinein, drückt - und ist mit Ketchup geduscht. Wir haben laut und hemmungslos gelacht und dann alles wieder sauber gemacht. Eine andere Situation war auch beim Essen: Es gibt Crêpes, mit Nutella, die Kleine klappt ihren auf, schaut hinein und sagt „das sieht aus wie ein Stinker“. Wenn sie mich dann mit ihren kleinen Armen umschließt und „Papa, ich hab die lieb“ sagt, fällt alle Anspannung von mir ab. Oder wenn sie mich beim ins Bett bringen fast erdrückt und ich dabei spüre, wie alle Liebe, die da ist, aufgesogen wird. Die Liebe, die ich geben darf, die sie ohne mich nicht spüren würde. Da weiß ich dann, dass es die richtige Entscheidung war.
Wie ist denn deine Perspektive für die kommenden Jahre? Für was wirst du da Mut brauchen? Mit Blick auf alle deine Kinder?
Die Großen werden langsam, aber sicher erwachsen. Die erste ist im Studium, die zweite in der Ausbildung und die dritte darf noch ein wenig die Schulbank drücken. Die Kleine wird uns viel Kraft kosten, das scheint mit den vorliegenden Diagnosen ganz klar zu sein. Menschlich gesehen ist das eine Situation, in der wir verzweifeln könnten. Dann braucht es Mut nach vorne zu sehen, nicht hinzuschmeißen, sondern darauf zu vertrauen, dass bei Gott viel mehr möglich ist als bei uns.
Bei allem, was du heute weißt – was empfiehlst du Familien, die vor einer vergleichbaren Entscheidung stehen wie ihr? Über was muss man sich im Klaren sein?
Ein Pflegekind aufzunehmen, bedeutet in jedem Fall eine Wundertüte zu bekommen, so sagte es jemand vom Jugendamt, das war uns auch klar. Und doch wundert man sich erst richtig, wenn man die Tüte aufmacht. Doch man darf sich auch sicher sein, dass man genau das tut, was Jesus in Matthäus 18,5 sagt: „Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf.“
Meine Empfehlung: Sprecht vorher mit anderen Pflegeeltern, und habt ein gutes Netzwerk von Leuten, die euch bei Bedarf unterstützen können. Wir merken jetzt, wie viele andere Pflegeeltern auch Christen sind, und das ist ein schönes Zeugnis. Und wahrscheinlich ist es auch gut zu wissen, ob der Arbeitgeber hinter einem steht. Denn ab und zu kann es trotz sorgfältiger Planung mal sein, dass man spontan wegmuss. Ich bin hier im LZA auf jeden Fall beim richtigen Arbeitgeber!
Abschließend, Frank: Dein Fazit bis hierher…?
Wenn Gott dir sagt, tu dies oder jenes, dann hab den Mut, es zu tun. Auch wenn das nicht bedeutet, dass dann alles glatt und ohne Probleme läuft. Und wenn es mal schwierig wird, sieh in die leuchtenden Augen deines Kindes, das dir sagt: „Papa du schaffst das, oder?“ und denke daran, dass dein Papa im Himmel es wirklich schafft. Er steht bei dir und gibt neuen Mut.
Lieber Frank, dir ganz herzlichen Dank für das Gespräch und euch allen, dass ihr die Kleine mit so viel Liebe umgebt.
Frank Hollmann ist mit Kerstin verheiratet und Vater von vier Töchtern. Er gehört seit 2013 als Elektriker zum Mitarbeiterteam des Lebenszentrums, liebt Vanilleeis mit heißen Kirschen, einsame Spaziergänge im Wald und meint: Mut kommt von oben.