Ich bin doch gut
Wenn Studierende sich damit beschäftigen, wie solide christliche Überzeugungen auf den Alltag moderner Menschen treffen, dann kann die Diskussion schon mal recht lebhaft werden. Joachim Klein findet das richtig gut und hat ein echtes Thema angestoßen.
„Der Mensch hat keine Schuld – und er braucht keinen Jesus, der für ihn gestorben ist…“ – ach wirklich? Da, wo für viele Christen seit Generationen feststeht, dass Jesus vergibt, müssen wir mal eben innehalten und bedenken: Ist das ein Thema der jungen Generation? Beschäftigt das die Menschen von heute generell überhaupt?
Ich fühle mich nicht schuldig
Im Rahmen unseres Moduls Homiletik habe ich mit dem ersten Studienjahrgang diskutiert und wir mussten für die Verkündigung erst einmal feststellen: Deutschland verändert sich und die Kultur hat eine neue Prägung erhalten. Ein Studierender kritisierte die Situation in Deutschland mit dem Begriff der „Pseudogutmenschen-Gesellschaft“. Denn: „Wir wissen doch alle, dass wir gut sind.“ Welchen Stellenwert hat darin Schuld und inwieweit helfen Freiheit und Ehre als Zugänge aus dem Missionsbereich, um Menschen heute zu erreichen? Einige unserer Studierenden brachten „0-Töne“ von Freunden mit ins Gespräch: „Ich fühle mich nicht schuldig“, „Ich bin korrekt“, „Ich bin doch gut“. Andere argumentierten in Bezug auf den Ansatz von Scham und Identität, dass gerade hier viel Engagement gezeigt wird, und dabei auch Minderheiten neu Anerkennung erfahren. Scham ist doch gar kein so großes Thema. …Vielleicht ein zu schnelles Urteil? Aber wie verkündigen wir für Menschen, die kaum noch einen Bezug und eine Vorstellung davon haben, dass es „da draußen“ noch jemand gibt? Im ersten Austausch mussten wir feststellen, wie verdrängt oder weit weg die Schuldfrage ist und wie schwierig es ist, gerade mit sehr ablehnenden Menschen ins Gespräch zu kommen, da zumeist nur das eigene Weltbild zählt. Ein erster wichtiger Anstoß, noch tiefer zu graben.
Selber schuld…
In der zweiten Runde haben wir uns der Schuldfrage von einer ganz anderen Seite genähert: Schuld ist das, was zwischen Menschen passiert. Hier steht unsere Gesellschaft heute an einer interessanten Weggabelung. Die Rechenschaft nach oben hat sich zur Rechenschaft zum anderen Menschen hin verschoben. Es sind Zeiten der „moralischen Aufrüstung“ und Phänomene einer Gesellschaft der Selbstoptimierung, in der du als Mensch selbst schuld bist, wenn es nicht so läuft, wenn das Optimalgewicht nicht stimmt und du nicht erfolgreich und reich bist. „Hättest du ja erreichen können…“ - „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Und wer nicht, der ist eben selbst schuld. Wäre hier nicht ein Anknüpfungspunkt in der Verkündigung, den Wert des Menschen von Gott her neu in den Mittelpunkt zu stellen „Du bist zuerst geliebt“ (1 Johannes 4,19) und bei Gott bist du angesehen?
Das wird wohl ein längerer Weg
Wir müssen wohl viel grundlegender beginnen, wenn wir das verkündigen möchten, was zentraler Aspekt unseres Glaubens ist: dass Gott wirklich ist und dass er Beziehung zu uns möchte. Wir kommen nicht um die Schuldfrage herum. Wenn heute dabei nicht die Frage „wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“, wie Martin Luther sie gestellt hat, sondern „wie bekomme ich gnädige Mitmenschen?“ eine wesentliche ist, dann braucht es wohl einen längeren Weg. Er kann aber von der mitmenschlichen Beziehung auf die Ebene der Gottesbeziehung führen. Am Ende hatten wir drei für uns wesentlich gewordene Einsichten gewonnen: wir müssen mit dem eigenen Leben die durch Jesus lebendig gewordene Veränderung auch anderen weitergeben, wir müssen an der realen Sehnsucht der Menschen, die Gott in ihr Herz gelegt hat (Prediger 3,11) anknüpfen und wir müssen die verschobene Schuldfrage auf menschlicher Ebene mit den Menschen weiterdenken. Vielleicht wäre gerade hier die Gnade Gottes eine Lösung für optimierungs-gestresste Menschen.
Joachim Kleinleitet und lehrt am Theologischen Seminar, freut sich über erfrischende Begegnungen und ist begeistert, wenn Menschen entdecken, wie sie reifen und wachsen.